Hoch lebe das süße Gefühl von Kontrolle, das Zeit- und Terminpläne mir verschaffen. Und verdammt seien Momente, in denen das süße Gefühl von Kontrolle, das Zeit- und Terminpläne mir verschaffen, den Bach runtergeht, weil das Leben – schon wieder – andere Zeit- und Terminpläne hat.
Ich konnte den Moment im September nicht erwarten, wenn meine Kinder nach Monaten wieder in die Schule gehen würden und ich Ruhe haben würde, all die vielversprechenden Projekte zu Ende zu bringen, die ich im Frühjahr wegen dem spontanen Bedarf an Vollzeit-Mutterschaft auf Eis gelegt hatte.
Erster Schultag in Frankreich: Ich setze die zwei ab und sprinte nach Hause, ohne mich auch nur ein einziges Mal umzudrehen. Ich fühle mich nicht enthusiastisch. Ich bin Enthusiasmus. Ich bin Freiheit, Fokus, Freude. Ich bin eine Erwachsene in einem kinderfreien Haus und kann machen was ich will, solange ich es will, ohne auch nur eine einzige blöde Frage beantworten zu müssen. Nach Wochen pausenlosem Elternsein kann ich mich endlich wieder der Arbeit widmen, die mich inspiriert (nehmt es mir nicht übel, liebe Kinder).
Ich fühle mich nicht enthusiastisch. Ich bin Enthusiasmus.
An meinem Schreibtisch und weiterhin mit ungetrübter Vorfreude, öffne ich Laptop, Herz, Geist, atme tief rein ins Gefühl von sicherem Ruhm und wohlverdientem Erfolg – und es passiert:
Nichts. Absolut gar nichts.
Es fühlt sich an, als hätte man mich nackig inmitten einer Wüste ausgesetzt und alles was ich sehe sind Sand und Luft. Ich versuche mich zu orientieren, aber es ist Mittag und die Sonne scheint von oben auf mich runter. Ich fühle mich irgendwie unwohl. Es ist viel zu still hier.
Nach einer Stunde nada ordne ich ein paar Sachen in meiner Mailbox, schreibe eine Liste, mache Kaffee, noch eine Liste, noch einen Kaffee, und bin dann auf Instagram bis meine Kinder endlich nach Hause kommen und mir eigentlich ganz interessante Fragen stellen.
Nicht allzu besorgt und auch nicht gegen die Gelegenheit, mal so richtig verständnisvoll mit mir selber umzugehen während ich meinen Lebenssinn verfehle, beende ich den Tag damit, den nächsten zu planen: diesmal mit bescheideneren Zielen, die weniger mit „zurück an die Arbeit“ zu tun haben und dafür mehr mit „mich der Arbeit annähern“. Man beachte das pädagogische Feingefühl.
Drei Wochen später: Ich habe keinen Finger gerührt. Das einzige was ich gemacht habe, ist Wände anstarren, und zwar genauso, wie ich das schon seit März mache. Ich glaube, der Moment ist gekommen, in dem ich einsehen muss, das etwas nicht ganz so läuft, wie ich das geplant hatte.
Es ist viel zu still hier.
Es gibt wohl Projekte und Entwürfe, die sich nicht einfach wieder so aufnehmen lassen wie sie waren. An den Projekten und Entwürfen hat sich in diesen Monaten nichts verändert. Aber offensichtlich an mir.
Hat hier jemand schon mal etwas über den ganzen Tag gekocht oder gebacken und hatte keinen Appetit mehr, als es endlich fertig war? Ich habe diesen Moment des Schulanfangs nicht erwarten können – aber jetzt, wo der Braten aus dem Ofen und alles startklar ist, hat sich mein Appetit irgendwie verändert. Vielleicht lieber Sushi? Einen Keks?
Viel weiß ich nicht gerade; nur eines: Alles was lebt – Pflanze, Tier, Mensch, Idee, Projekt, Beziehung, Traum – hat Zyklen und Phasen, Saisons, die vielleicht nicht immer unseren eigenen Zeitplänen folgen, aber sich besser in Ruhe entfalten – ansonsten sterben sie, beißen, verlieren das Gleichgewicht, scheitern oder zerbrechen. Ich frage mich: was, wenn mein Kopf stur auf allem beharrt, was ich im Frühjahr wollte und nicht konnte, während mein Herz und überhaupt alles Leben in der nördlichen Hemisphäre währenddessen arglos auf Sommer und nun Herbst umgeschaltet haben?
Mein Hirn findet nach wie vor, dass jetzt die Zeit und der Ort ist, zu blühen, aufzugehen und loszufliegen, alles Geplante durchzusetzen; aber an dem Ort ist kein Leben mehr, sondern Wüste. Mein Kopf ist beschäftigt mit Quarantäne und Deadlines, aber der Rest von mir eigentlich weniger. Vielleicht ist dem Rest von mir eher danach, ein paar trockene Blätter fallen zu lassen, nach Rückzug, Innenkehr und nach Vorbereiten auf kältere Tage.
In welcher Jahreszeit bist du? In welcher Jahreszeit bist du wirklich?
Wir mussten ein paar Gänge runterschalten und auf Vieles verzichten dieses Jahr; und während wir uns alle einig darüber waren, dass „nichts so richtig sein würde wie vorher“, erwarten wir vielleicht trotzdem vom Moment, in dem ‚das alles‘ vorbei ist, dass wir unsere Projekte, Beziehungen, Träume genau so wieder aufsammeln, wie wir sie liegen haben lassen. Ich hab das sicherlich mehr, als ich dachte. Doch wir alle haben uns verändert in diesen Monaten – und wie sehr und in welcher Hinsicht zeigt sich eben erst dann so richtig, wenn wir mit unserem richtigen Leben wieder voll am Start sind.

Eine Sache, die ich während der Quarantäne in Frankreich infrage stellte, ist wirklich sinnlose Sachen durchzuziehen, nur um mir oder anderen etwas zu beweisen. Bleibe ich jetzt stur und erledige um jeden Preis, was ich mir vorgenommen hatte, nur damit ich den Erfolg verschreiben kann, dass es getan ist – und versäume währenddessen, was wirklich für mich an der Zeit ist? Erzähle ich mir etwas von Misslingen und Scheitern an einem Terminplan, der eigentlich nicht up to date ist? Nein.
Voilà mein post-quarantäner Plan B: tschüss sagen zu nicht abgehakten To-Do’s, die sich inzwischen leer anfühlen, ehrlich sein bezüglich dem, was sich in mir tut und verändert hat, und, selbst wenn es sich fragwürdig anfühlt: mich eine Zeit lang mit leeren Händen und leerem Magen anfreunden. Mich bereiterklären, meinem neuen, wahren Appetit zu folgen, wo auch immer er mich hinführen mag. Und meinen Kalender, meinen Terminplan, meine Uhr nach mir stellen, nicht umgekehrt.
Bild: Arun Clarke // Unsplash