Ich hab so einiges am Start, und ich weiß das habt ihr auch. Eine Sache vorab: Für Zeiten, in denen es weniger um‘s Glück geht und mehr um’s Durchhalten, hilft nur eines: radikale Prioritäten setzen. Das Wichtigste zuallererst, alles andere muss warten, ob das allem anderen passt oder nicht. Wenn die existentielle Grundlage aber gesichert ist und es darum geht, wie wir alles jonglieren, was wir uns unbedingt erfüllen wollen, hab ich da noch was anderes.
Ich war nie jemand, der sich leidenschaftlich auf eine Sache stürzt und ohne aufzuschauen solange draufloshämmert bis es fertig ist. Die amerikanische Schriftstellerin Liz Gilbert unterschied einmal treffend diese Art von „Specht“- Genossen vom sehr unterschiedlichen Typus des „Kolibris“: Letztere hämmern nicht stur drauflos, sondern bewegen sich von Baum zu Baum, von Blume zu Blume, versuchen mal dies, mal das… Mein Glück liegt im Mix einer ganzen Palette an Projekten, Interessen und Ideen gleichzeitig und ich würde eingehen, würde man mich nicht mein Kolibri-Ding machen lassen.
Der Nachteil eines solchen Flatterlebens: langsamster Forstschritt auf jedem einzelnen Gebiet und Momente heller Panik, weil ich alles, das ich da balanciere, nicht schnell genug, gut genug und groß genug hinbekomme, während der ganze Rest der Welt aus Experten, Spezialisten und Rockstars besteht, die schon alles wissen und können, noch bevor ich überhaupt Lektion 1 von meiner „Origami mit Reispapier“ Klasse heruntergeladen habe.
Es gibt aber eines, dass mir unmittelbar Abhilfe bei dieser Art von „nicht schnell/gut/groß genug“ Panik verschafft, mich beruhigt und zurück ins Gleichgewicht bringt. Ich sag’s gerade heraus: Ich denke an eine Spirale. 🌀 Ich atme einmal tief durch, vielleicht auch dreimal, höre auf, mir Fortschritt als Gerade von A nach B vorzustellen und fange an, rund zu denken.
Das Leben ist sowieso nicht gerade.
Kreise haben mir schon Vieles beigebracht, wenn es z.B. um die unerwünschte Rückkehr an Orte, zu Dingen oder Menschen geht; und jedes Mal wenn ich Panik bekomme, weil ich nur den Fortschritt sehe, den es noch zu machen gibt, anstatt wie weit ich schon gekommen bin – und mir dieses Denken von A nach B, wo Punkt B den ganzen Ruhm abbekommt und alles was davor kommt (quasi mein Leben) irgendwie nur Mittel zum Zweck ist, überhaupt die ganze Lebensfreude rausdrainiert – also da haue ich dann auf den Tisch und sage laut „jetzt hab ich aber genug ihr verdammten Linien!“ und denke an was Rundes.
Das mit der Linie ist sowieso blanker Wahnsinn. Das Leben ist keine gerade Linie, wo wir eine Sache abhaken und dann kommt die nächste. Wir kommen immer wieder zurück zu dem, was schon mal war und schauen ein bisschen weiser, ein bisschen cooler, ein bisschen reifer drauf. Wir leben und wachsen in Kreisen und Zyklen. Bäume machen das so. Unsere Körper machen das so. Unsere Beziehungen machen das so. Zeit macht das so: Zirkuläre Zeit ist in vielen Kulturen fundamental – bloß nicht in unserer. Das Kind, das wir einst waren – ist das wirklich hinter uns, oder ist es in uns? Lektion 1 von meiner Origami-Klasse ist nicht irgendwo hinter Lektion 75. Sie ist mittendrin in Lektion 75.
Und so stelle ich mir eigentlich jeden Tag vor. Ich ziehe Kreise durch die ganze Palette an Sachen, an denen ich arbeite und die ich entwickle – einen nach dem anderen, setze hier was drauf, probiere dort was aus, verbessere dieses, vermülle jenes und, fremdbestäube (als Kolibri) im Vorbeiflug manchmal zwei Gebiete, die eigentlich überhaupt nichts miteinander zu tun hatten.
Unser Herz ist im Prozess – und wir mitten im Leben.
Bilder haben Macht und die Vorstellung, Kreise zu drehen, anstatt auf einer geraden Linie von A nach B zu marschieren, lässt mich weniger frustriert sein über den schnellen Fortschritt, den ich auf verschiedenen Gebieten nicht mache, und mehr die kleinen Forstschritte, die ich jeden Tag auf vielen Gebieten mache, würdigen – weil eine Spirale eben das Ganze verbildlicht, das perfekte Zusammenspiel von allem, was ist.
Das Rezept für Stress ist ‚hier‘ sein aber ‚dort‘ sein wollen, sagt Eckhart Tolle weise. In einer Spirale sind ‚hier‘ und ‚dort‘ fast dasselbe und vielleicht ist das ihr schönstes Geheimnis. Jeder Punkt ist Teil vom Ganzen. Egal, ob wir unsere Spirale von innen nach außen gehen, expandieren, oder von außen nach innen, etwas vertiefen: Wenn wir geradlinigen Fortschritt mal kurz vergessen können, ist jeder Schritt Entwicklung, Erfolg, Erfüllung – auch die stillen Momente, die Zwischenschritte, die Pausen, sogar die Fehltritte. Jeder Kreis integriert das oder baut auf dem auf, was vorher war. Das ‚finale‘ Ergebnis? Nur ein Teil von vielen, und nicht so viel wichtiger als der Rest. Was das kann? Es bringt unser Herz in den Prozess – und uns mitten ins Leben.
Bild: Matt Bluejay // Unsplash